Schleweis: „Das Land zusammenhalten“
31.01.2019 - Rede des DSGV-Präsidenten beim Parlamentarischen Abend der Sparkassen-Finanzgruppe in Berlin
Die Digitalisierung fordert bestehende Geschäftsmodelle ebenso heraus wie die bisherige Ordnungspolitik. In seiner Rede umreißt DSGV-Präsident Helmut Schleweis die Herausforderungen, Vorstellungen einer digitalen Ordnungspolitik und geschäftsstrategische Antworten der Sparkassen-Finanzgruppe.
Meine Damen und Herren,
Guten Abend und herzlich willkommen hier im Sparkassenhaus. Ich begrüße Sie im Namen des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, auch für meine Kollegen aus der Verbandsleitung, Dr. Karl-Peter Schackmann-Fallis und Dr. Joachim Schmalzl. Vielen Dank, dass Sie in so großer Zahl gekommen sind.
Vor einem Jahr habe ich Sie das erste Mal als Präsident im Namen der Sparkassen, Landesbanken, Landesbausparkassen, öffentlichen Versicherer und vieler weiterer Finanzdienstleister begrüßen dürfen. Daran haben sich viele persönliche Gespräche angeschlossen. Sie haben mir in sehr kurzer Zeit Ihre Türen geöffnet. Das war wichtig und aufschlussreich für mich.
Ich hoffe, dass meine Kollegen und ich Ihnen mit unseren Erfahrungen wichtige Einschätzungen und Hintergründe für Ihre eigene Arbeit übermitteln konnten. Jedenfalls habe ich bei Ihnen eine große Offenheit für die Anliegen der Sparkassen und unserer Kunden vorgefunden. Danke dafür!
Wir als Sparkassen-Finanzgruppe stehen für rund 50 Millionen private Kundinnen und Kunden, für drei Viertel aller deutschen Unternehmen, die mit unseren Instituten Geschäftsbeziehungen pflegen, und für mehr als 300.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb haben wir etwas einzubringen – aber wir haben damit auch eine sehr große Verantwortung für unser Land.
Ich habe in den letzten Monaten die Erfahrung gemacht: Die Zeiten sind zu spannend –
und unsere Zeit zu knapp – als dass wir um die entscheidenden Themen herumreden könnten. Deshalb will ich die aus unserer Sicht wichtigen Punkte heute und auch in Zukunft klar ansprechen.
Aus meiner Sicht stehen wir in Deutschland vor ganz grundlegenden Herausforderungen, über die wir sprechen müssen – zumal im Jahr der Europawahl. Viele der früher stabilisierenden globalen Ordnungssysteme funktionieren nicht mehr ausreichend. Es ist sehr schwierig geworden, Europa zusammenzuhalten. Auch beim Brexit wissen wir noch nicht, wie es weitergeht. Und der ökonomische Schaden der weltweit betriebenen Abschottungs- und Konfrontationspolitik ist inzwischen deutlich erkennbar.
Die Welt gerät immer mehr in Unordnung – ohne dass sich bereits eine neue Ordnung klar herausschälen würde. Jedenfalls keine, die auf Multilateralismus und Interessenausgleich bedacht ist. Die USA, Russland und China arbeiten erkennbar daran, die Welt politisch und wirtschaftlich unter sich aufzuteilen.
Wir haben es mit einer Vielzahl ganz grundlegender Risikofaktoren zu tun. Jeder für sich scheint beherrschbar zu sein. Tatsächlich aber treten sie gleichzeitig auf und verstärken sich gegenseitig. Das könnte zu einem relativ raschen Ende der rund zehnjährigen Wachstumsphase in Deutschland führen.
Was nicht heißt, dass uns Herausforderungen schrecken müssen. Wer sich nur vor Veränderungen fürchtet, hat noch nichts getan. Ich denke aber, dass wir uns in Deutschland sehr rasch aus dem Wohlfühlmodus der letzten Jahre heraus – und in einen grundlegenden internationalen Wettbewerb mit neuen Regeln hinein bewegen müssen.
Ich sehe die Situation so: Vor kurzem wurde die letzte Steinkohlegrube geschlossen. Wir arbeiten an der Energiewende. Und wir setzen auf Elektromobilität. Alles aus wohlerwogenen Gründen. Doch damit verabschiedet sich unser Land gerade von Technologien, in denen wir Jahrzehnte weltweit führend waren. Was kommt nach dem Wandel?
Ja, wir sind in vielen anderen „alten“ Industriesektoren nach wie vor führend. Aber um die entscheidenden Zukunftstechnologien im Rahmen der Digitalisierung müssen wir uns jetzt dringend kümmern.
Ich denke, es gibt hier viel zu tun und aufzuholen. Denn ab einem gewissen „Point of no return“ droht in der Digitalisierung ein Kontrollverlust über die eigenen Regeln und Ressourcen. Und der Effekt könnte sein: The winner takes it all. Genau hier brauchen wir als Wirtschaftsakteure auch Ihre Hilfe als Gesetzgeber.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die europäische Wirtschaft nicht zwischen amerikanischen Internetgiganten einerseits und einer chinesischen Staats-Digitalindustrie andererseits zerrieben wird. Das betrifft fast alle Branchen, die heute von digitalen Angeboten abhängig sind – und damit eben auch uns als deutsche Kreditinstitute.
Die digitale Wertschöpfung findet schon heute außerhalb Europas statt. Auf der einen Seite stehen mit Amazon, Apple, Facebook, Google und Microsoft fünf Internetgiganten, die inzwischen jeweils in ihrem Sektor weltweit die Märkte beherrschen. Wollte man heute diese fünf Konzerne kaufen, müsste man die gesamte Wirtschaftsleistung Deutschlands auf den Tisch legen.
Und während von interessierter Seite gerne der deutsche Handelsbilanz-Überschuss angeführt wird, müssen wir gleichzeitig feststellen: Bei der digitalen Infrastruktur hat Europa gegenüber US-Anbietern ein Handelsdefizit von 30 Milliarden Euro. Und für Kreditkartengebühren kommen nochmal fast 40 Milliarden Euro obendrauf. Das ergibt schon einen ganz anderen Blick auf Plus und Minus – und auf die Chancenverteilung.
Der besondere Charakter der digitalen Wertschöpfung fördert die Konzentration der Wirtschaft auf wenige große Anbieter. Denn die meisten digitalen Produkte werden umso attraktiver, je mehr Menschen sie nutzen. Immer mehr Macht für wenige Konzerne, immer weniger Wettbewerb sind die Folge.
An den Top-20-Digitalplattformen der Welt ist Europa nur mit 1,4 Prozent beteiligt – von Deutschland will ich gar nicht reden. Potentielle Konkurrenz, falls sie überhaupt in Europa entsteht, wird systematisch weggekauft. Derzeit entstehen amerikanische Monopole, denen europäische Unternehmen bisher nichts entgegenzusetzen haben. Und auf der anderen Seite haben wir es mit einer staatlich gelenkten und koordinierten Internetindustrie Chinas zu tun.
Dazwischen steht oder liegt Europa – und deshalb brauchen wir eine echte Strategie. Ich möchte nicht, dass Europäer zu geduldigen Verbrauchern, und europäische Unternehmen zu geduldeten Zulieferern werden. Wir sollten selbst entscheiden – und entscheiden können – welcher Anteil an der Wertschöpfung uns künftig noch zusteht.
Denn der digitale Wandel hinterlässt bereits seine Spuren: Die Freiheit der Besteller ist die Unfreiheit der Boten. So könnten sich weitere Brüche verstärken: zwischen Stadt und Land, zwischen alten und neuen Branchen, zwischen sehr gut ausgebildeten und sehr gut verdienenden Digitalspezialisten einerseits, und einem – entschuldigen Sie den drastischen Ausdruck – „Dienstleistungsproletariat“ andererseits.
Ich glaube, wir müssen uns mehr trauen, uns mehr zutrauen, und mit größerer Konsequenz das Notwendige tun, damit wir das Land zusammenhalten. Dabei sind nahezu alle Bereiche und nahezu alle Regeln betroffen, mit Schwerpunkt bei der Bildung, bei der digitalen Infrastruktur und der Finanzierung neuer, schnell wachsender Unternehmen der Digitalwirtschaft.
All das hat viel mit Sparkasse zu tun: Wir sind gegründet worden, um allen eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Wir leben vom und mit dem wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes und seiner Unternehmen. Und wir erleben jeden Tag hautnah, dass sich Risse in unserem Land auftun – Risse, die wir nicht akzeptieren können, und gegen die wir etwas tun müssen.
Nun kann ich nicht beim Parlamentarischen Abend das Zukunftsbild Deutschlands entwickeln. Schon rein zeitlich nicht. Aber vor allem könnte ich dies gar nicht allein. Ich will Ihnen aber an wenigen Beispielen darlegen, was aus unserer Sicht geschehen sollte, und welchen Beitrag wir dazu erbringen können.
Im Bereich der Digitalisierung sollten wir uns auf fünf Themenbereiche konzentrieren:
- Wir benötigen in Deutschland eine digitale Infrastruktur, mit der an jedem Ort eine Teilhabe an der globalen Datenwirtschaft und am digitalen Alltag möglich ist. Wie auch immer wir das organisieren – im Kern ist das öffentliche Daseinsvorsorge. Denn ohne eine solche flächendeckende Infrastruktur werden die ländlichen Räume noch leerer der Druck auf die Ballungsräume noch stärker und das Wohnen in den Städten noch teurer werden.
- Unsere Bildungsanstrengungen müssen deutlich erhöht werden – auch die rund um Digitalisierung. Denn einerseits beklagen wir – zurecht – die zu geringe finanzielle Bildung und ein fehlendes Grundverständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge. Wir beklagen – zurecht – zu wenig digitale Kompetenzen. Und zwar breit durch alle Schichten und Altersklassen. Aber bei privaten Finanzgeschäften sollen die Menschen alles allein und digital lösen? Das passt für mich nicht zusammen.
- Die hegemoniale Struktur der Internetmärkte wird durch regulatorische Lücken oder steuerliche Bevorzugung noch verstärkt. Nur ein Beispiel: Alle Wirtschaftsakteure brauchen Zugang zu Plattformen und Schnittstellen. Banken und Sparkassen sind sogar gesetzlich verpflichtet, den Zugang zu den Konten ihrer Kunden kostenlos für Dritte zu öffnen. Doch umgekehrt stehen wir vielfach vor verschlossenen Türen.
Das ist das Szenario, das europäische Unternehmen heute in allen Branchen bedroht: Behalten wir den Zugang zum Kunden – oder verlieren wir ihn an die geschlossenen Welten Dritter? Das ist nach meiner Überzeugung die ordnungspolitische Frage der Zukunft. - Es wird Zeit, dass wir uns als europäische Wirtschaft enger zusammenschließen, um ausreichende Netzwerkgrößen und neue zukunftsfähige Branchen zu entwickeln. Wir müssen dazu aber innerhalb von Branchen enger zusammenarbeiten können. Das betrifft z.B. die Automobilwirtschaft beim Thema autonomes Fahren oder Batteriefertigung. Uns betrifft es dort, wo Menschen bezahlen oder sich im Netz ausweisen.
Dazu wird es vor allem notwendig sein, das Wettbewerbsrecht an die neuen Realitäten anzupassen. Es gibt eine neue Form der Marktmacht. Dem müssen Unternehmen durch Kooperationen und der Staat durch die passende Aufsicht leichter entgegentreten können. - Wir müssen Möglichkeiten finden, wie wir schnell wachsende Unternehmen auch in der zweiten und dritten Finanzierungsrunde mit europäischem Kapital ausstatten können. Weder Deutschland, noch Europa verfügen über eine staatlich kontrollierte „Kriegskasse“ wie China – und wir haben auch nicht die geballte Finanzkraft der Private-Equity-Fonds wie die USA.
Wir müssen deshalb gemeinsam überlegen, wie wir die traditionellen Kapitalsammelstellen in Europa und in Deutschland hier an den Start bringen können. Das betrifft Versicherungen, Renten- und Pensionskassen, aber auch Kreditinstitute. Hier gibt es derzeit noch eine Reihe einschränkender Finanzmarktregulierungen, die überprüft werden müssen. Natürlich müssen dabei die besonderen Anforderungen der Deutschen an Sicherheit und Kapitalerhalt berücksichtigt werden. Das muss ich als Sparkassenvertreter wohl nicht besonders betonen.
Über diese Themen würden wir gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen. Wir haben dort keine Zeit zu verlieren.
Natürlich kann die öffentliche Hand nur den Rahmen setzen und Infrastrukturen bereitstellen. Die ökonomischen Anforderungen müssen die Unternehmen schon selbst bewältigen – das ist uns bewusst. Deshalb nur an drei Punkten einen Einblick in die Geschäftsstrategie der Sparkassen-Finanzgruppe:
- Wir wollen den Kunden ein
digitales Zuhause bieten, von dem aus sie ihre Finanzen selbstständig
organisieren können. Deshalb wollen wir unser Girokonto zu einer
Finanzplattform weiterentwickeln. Dort können Kunden natürlich alles
rund ums Girokonto, aber zusätzlich auch möglichst viele andere Finanz-
und Wirtschaftsvorgänge für sich managen. Schon heute erreicht man über
die Hauptbankverbindung bei der Sparkasse auch das Konto bei anderen
Banken. Abo-Verwaltung und Steuererklärungen sind weitere kleine
Beispiele.
Wir wollen die nutzerfreundlichste Plattform sein. Dazu werden wir in diesem Jahr auch einen Identifikationsdienst namens YES in den Markt bringen. So helfen wir Kunden, ihre Daten sowohl zu nutzen, als auch zu schützen. - Kunden wollen einerseits
die größte Sicherheit für ihre Daten – andererseits möchten sie sich
gerne das Leben erleichtern. Im Verhalten des Einzelnen ergeben sich
daraus oftmals Widersprüche – wir bringen beides unter einen Hut. Jeder
Kunde kann sich darauf verlassen, dass wir seine Daten nicht ohne seine
Zustimmung und gegen seine Interessen auswerten. Die DSGVO gilt ohne
Einschränkungen.
Trotzdem wollen wir über Data Analytics den künftigen Bedarf unserer Kunden erkennen, um entsprechende Angebote zu entwickeln, zu verkaufen oder auch zu vermitteln. - Wir sind
ein führender Anbieter von modernen Payment-Lösungen – und wollen
das auch bleiben. Die Sparkassen sind weit innovativer, als oft vermutet
wird. Bei Echtzeitzahlungen, bei Handy-zu-Handy-Zahlungen – „Kwitt“ ist
der Name – und beim mobilen Bezahlen mit dem Smartphone sind sie früher
gestartet und besser vertreten als andere.
Wir wollen auch weitere Zahlmöglichkeiten anbieten. Voraussetzung dabei ist allerdings immer, dass wir uns dadurch nicht mit Haut und Haaren einer amerikanischen Plattform-Ökonomie ausliefern. Deshalb schauen wir als Marktführer auf neue Möglichkeiten teilweise mit etwas mehr Vorsicht, als dies kleine Marktteilnehmer tun. Wir wollen im Payment-Sektor die gesamte Wertschöpfungskette aus eigener Kraft bedienen. Das dürfte auch im gesamtwirtschaftlichen Interesse Deutschlands sein.
Dennoch wird dies in den meisten Fällen nicht mehr allein, sondern nur gemeinsam mit Wettbewerbern möglich sein. Wir brauchen dazu immer mehr deutsche und europäische Kooperationen und Standardisierungen. Das Wettbewerbsrecht muss solche Kooperationen besser ermöglichen. Denn der Wettbewerb ist gerade im Zahlungsverkehr längst global.
Deutschland braucht stabile Kreditinstitute
Deutschland braucht Kreditinstitute, die für ihre Kunden und für sich selbst gut vorsorgen – um auf dieser stabilen Grundlage den nötigen Wandel zu bewältigen und zu finanzieren. Das heißt für uns in der Gruppe, dass wir die Strukturen unserer Verbundunternehmen weiterentwickeln müssen.
Dass ich an dem Thema „dran“ bin, haben Sie sicher verfolgt. Aber Voraussetzung für grundlegende Strukturfragen ist natürlich, dass wir zuvor die direkt bevorstehenden Herausforderungen bewältigt haben.
Die Nord/LB ist eine solche Herausforderung. Sie wissen, dass hier – wie bei allen Unternehmen – in erster Linie die Eigentümer gefordert sind. Und sie kümmern sich ja auch. Aber als gesamte Sparkassen-Finanzgruppe werden wir, wenn es nötig wird, die Kraft finden, solidarisch Verantwortung zu übernehmen.
Die Sparkassen-Finanzgruppe und die Gremien des Sicherungssystems haben sich heute im Rahmen einer Mitgliederversammlung einstimmig und ohne Enthaltung auf einen Lösungsvorschlag zur Deckung des Kapitalbedarfs und einer damit einhergehenden Restrukturierung der Nord/LB verständigt.
Das ist ein kraftvolles Signal für die Handlungsfähigkeit der Gruppe.
Diese Lösung für einen wertschonenden Umbau kann jetzt mit dem Land Niedersachsen und anderen Trägern der Nord/LB in Abstimmung mit der Aufsicht und den zuständigen Behörden umgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, Vertrauen ist das notwendige Stichwort. Ohne gegenseitiges Vertrauen geht fast nichts – damit fast alles. Uns ist deshalb sehr am Austausch mit Ihnen allen gelegen. Nur durch diesen Austausch kann man lernen: neue Fakten, jeweilige Interessen. Aber auch Sachzwänge verstehen, denen jeder von uns ausgesetzt ist.
Charlottenstrasse 47
10117 Berlin Deutschland
030 20 22 55 115
030 20 22 55 119