"Zurück auf einen soliden und nachhaltigen Pfad"

Deutschland brauche mehr öffentliche Investitionen, gleichzeitig müsse die Geldpolitik wieder auf einen soliden und nachhaltigen Pfad zurückfinden. Das forderte Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands bei einem Auftritt vor der Presse während der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Washington.

Meine Damen und Herren,

die Sorge um eine Abschwächung der weltwirtschaftlichen Entwicklung überschattet diese Tagung. Aus der Europäischen Union heraus sollten wir den aktuellen Krisenfaktoren entgegenwirken. Darauf möchte ich mich in meinem Statement konzentrieren. Vor allem drei Punkte sind wichtig:

  1. Über lange Zeit hat die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank den Euroraum stabilisiert. In der jetzigen Situation überwiegt mittlerweile der Schaden einer expansiven Geldpolitik. Wir halten es deshalb für wichtig, dass die Geldpolitik wieder auf einen soliden und nachhaltigen Pfad zurückfindet.
  2. Mit einer verstärkten Wachstumspolitik müssen jetzt die Chancen für einen nachhaltigen Aufschwung genutzt werden. In Deutschland etwa sind mehr öffentliche Investitionen notwendig.
  3. Durch Regulierungen und durch die expansive Geldpolitik wird die europäische Finanzwirtschaft in den nächsten Jahren betriebswirtschaftlich extrem gefordert. Wir glauben, dass die Politik dem Erhalt der Leistungsfähigkeit der europäischen Finanzwirtschaft eine hohe Aufmerksamkeit schenken sollte.

Die Weltwirtschaft wird aktuell vor allem durch politische Rahmenbedingungen belastet. Die wirtschaftlichen Folgen zeichnen sich immer klarer ab: In vielen Industrieländern war bereits 2018 eine Abschwächung des Wachstums zu beobachten. 2019 hat die Dynamik weiter nachgelassen. Die Geldpolitik wäre überfordert, wenn sie sich dem allein entgegenstemmen sollte. In den USA hatte die Federal Reserve den Zins zwischen Ende 2015 und Ende 2018 schon ein Stück normalisiert und erste Schritte zum Abschmelzen ihrer unnatürlich hohen Bilanzsumme unternommen. Im Euroraum wurde trotz zwischenzeitlich solider Wachstumsaussichten keine Normalisierung der Geldpolitik eingeleitet.

Tatsächlich haben die Ankaufprogramme gerade einmal zehn Monate – und auch das nur im Netto-Aufbau – pausiert. Ab November 2019 laufen jetzt die Zukäufe wieder an. Die EZB ist inzwischen der wesentliche Marktakteur beim Ankauf von Staats- und zunehmend auch Unternehmensanleihen. Zwar wird der Negativzins mittlerweile durch die Einführung von Staffelzinsen abgemildert. Das Ankaufprogramm für Anleihen schlägt aber voll auf die Refinanzierungskonditionen durch. In rund einem Dutzend europäischer Länder erhalten Kreditgeber nach zehn Jahren weniger Geld zurück.

Diese Verknappung verzinslicher Anlagemöglichkeiten stellt für Sparer, aber auch für institutionelle Anleger eine sehr große Herausforderung dar – jedenfalls dann, wenn sie übermäßige Risiken vermeiden wollen. Für Versicherungen, Sozialversicherungen, Stiftungen, aber auch für Sparkassen engt das die Handlungsmöglichkeiten extrem ein. Umgekehrt können wir inzwischen aber nicht mehr erkennen, dass niedrigste Zinsen Unternehmen zu mehr Investitionen motivieren. Ich kenne keinen Unternehmer, der sich dabei von den letzten Basispunkten im Zins leiten lässt. Eher sind die bestehenden wirtschaftlichen Unsicherheiten handlungsleitend.

Wir sehen zudem auch die Gefahr, dass die aktuelle Geldpolitik unsere Gesellschaft zunehmend spaltet: Es profitieren sehr stark Menschen mit größeren Vermögen. Belastet werden hingegen all diejenigen,

  • die wenig eigenes Kapital haben,
  • die Mieter sind – im Gegensatz zu Immobilienbesitzern 
  • oder die auf kapitalgedeckte Vorsorgesysteme angewiesen sind.

Wir sind der Meinung, dass die EZB diese ungewollten Auswirkungen ihrer Geldpolitik stärker ins Blickfeld nehmen sollte. Die Wiederaufnahme der Anleihekäufe sollte überprüft werden.

Und wir hoffen auch, dass die neue EZB-Präsidentin die Märkte durch eine behutsame Kommunikation darauf einstimmt, dass die Niedrigstzinspolitik nicht ewig fortgesetzt werden kann. Jedenfalls dann nicht, wenn man irreparable Schäden für unsere Wirtschaftsstruktur vermeiden möchte. Die sehr negative Entwicklung in Japan als Folge langjährig niedrigster Zinsen zeigt Gefahren, die auch in Europa drohen. In dieser Situation ist die Wirtschafts- und Finanzpolitik sehr stark gefragt.

Europa und auch konkret wir in Deutschland können einen wichtigen Beitrag für eine gute wirtschaftliche Entwicklung leisten. Denn tatsächlich gibt es in vielen Industrieländern ein Missverhältnis zwischen dem Ersparnisaufkommen und den Investitionen. Die demografische Situation ist dabei nur ein Faktor; unterlassene notwendige Investitionen ein anderer. So wird beispielswiese nur ein Drittel der deutschen Ersparnisse im Inland genutzt. Zwei Drittel der deutschen Ersparnisse werden als Leistungsbilanzüberschuss ins Ausland exportiert.

Vor diesem Hintergrund wird unser Land seit Jahren bei dieser Tagung aufgefordert, mehr öffentliche Investitionen zu tätigen. Die neue IWF-Chefin hat dies gerade vor wenigen Tagen wieder bekräftigt. Natürlich hat Deutschland von seiner hohen Wettbewerbsfähigkeit viele Jahre sehr gut gelebt. Und zu Recht haben die deutschen Vertreter immer wieder darauf hingewiesen, dass der Leistungsbilanzüberschuss ein Ergebnis eigener Anstrengungen und eigener Leistungsfähigkeit gewesen ist.

Es war nicht falsch, auch andere Länder zu mehr eigener Wettbewerbsfähigkeit aufzufordern. Doch jetzt ändern sich die Zeiten: Die Weltkonjunktur schwächt sich ab, Abschottung und Handelskriege prägen die Welt. Jetzt muss die Kraft aufgebracht werden, politisch auf diese neue Situation zu reagieren – und dabei auch bisherige Grundüberzeugungen zu überprüfen.

Auch für die öffentliche Hand gilt: Sparen ist kein Selbstzweck, sondern immer eine Vorsorge, um zum richtigen Zeitpunkt investieren zu können. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen. 2018 hat die öffentliche Hand in Deutschland – über alle Ebenen hinweg – Finanzierungsüberschüsse in Höhe von 62 Milliarden Euro erzielt. Allein auf den Bund entfielen Überschüsse von 20 Milliarden Euro. Das sind 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, für den Bund allein immerhin noch 0,6 Prozent! Mit Blick auf die aktuelle zyklische Situation und auf die internationalen Ungleichgewichte wäre das ein erheblicher Stimulus. Und es wäre ein kluges politisches Ziel, die heimischen Ersparnisse auch über die kurzfristige zyklische Perspektive hinaus wieder stärker im eigenen Land produktiv zu verwenden und in Investitionen zu lenken.

Bedarf dafür gibt es genug:

  • Für einen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft! Hier sollten wir weltweit eine Vorreiterrolle anstreben. Das angestoßene Klimapaket ist dafür ein erster Schritt.
  • Wir müssen – wie in der EU insgesamt – dringend Investitionsvorsprünge der USA und Chinas im Bereich der Digitalisierung aufholen.
  • Und wir müssen uns stärker als Wissensgesellschaft positionieren und deshalb stärker in Bildung investieren.

Von den notwendigen Ersatzinvestitionen in die heutige Infrastruktur, Stichwort Straße und Schiene, will ich gar nicht sprechen. Dabei geht es nicht nur um öffentliche Investitionen. Durch bessere Rahmenbedingungen sollte sichergestellt werden, dass auch deutsche Unternehmen wieder mehr im Inland investieren. Eine Unternehmenssteuerreform könnte dabei helfen. Viele große Industrieländer haben in den letzten Jahren solche Reformen der Unternehmenssteuern vorgenommen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert.

Der finanzpolitische Spielraum für öffentliche Investitionen und für einen steuerlichen Anreiz für Unternehmensinvestitionen ist in Deutschland glücklicherweise vorhanden. Wichtig ist, diese Spielräume nicht nur einfach heute umzuverteilen. Ein Investment in die Zukunftsfähigkeit ist schließlich auch eine Gerechtigkeitsfrage, nämlich eine gegenüber den kommenden Generationen. Klimaschutz ist dabei eine herausragende Aufgabe. Sie lässt sich vor allem durch einen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft erreichen. Und das erfordert massive Investitionen.

Damit ich nicht falsch verstanden werde, zwei Klarstellungen:

  1. Die Schuldenbremse muss erhalten bleiben. Aber auch sie erlaubt eine gewisse Schuldenneuaufnahme für investive Zwecke und in bestimmten zyklischen Situationen.
  2. Wir brauchen echte Netto-Investitionen. Es geht nicht darum, nur zwingende Ersatzinvestitionen zum Erhalt des Status quo ins politische Schaufenster zu stellen. Denn über viele Jahre hinweg waren die Netto-Investitionen in Deutschland negativ. Das bedeutet: Die Abschreibungen waren höher als die Investitionen. Wir haben von der Substanz gelebt. Und auch 2018 haben auf gesamtstaatlicher Ebene die Investitionen die Höhe der Abschreibungen gerade einmal um 1,3 Milliarden Euro übertroffen.

Ich plädiere also dafür, neben der ökologischen auch die ökonomische Nachhaltigkeit zum politischen Schwerpunkt zu machen. Ich halte es deshalb auch für falsch, angesichts der Klimakrise mit einer expansiven Geldpolitik den heutigen Konsum zulasten kommender Generationen anzukurbeln. Das ist weder unter ökonomischen, noch unter ökologischen Gesichtspunkten nachhaltig.

Auch bei den Rahmenbedingungen in der Finanzwirtschaft müssen wir sehr darauf achten, uns nicht vom Leitbild der Nachhaltigkeit zu entfernen. Natürlich waren die verschärften Regulierungen eine Reaktion auf die Finanzkrise. Dieses politische Anliegen war nachvollziehbar. Jetzt nähern wir uns aber dem Punkt, wo Geldpolitik und Regulierung den Teil der Finanzwirtschaft zu stark belasten, der bisher für Stabilität gesorgt hat. Aus den Erfahrungen der Finanzkrise wissen wir, dass

  • einlagenstarke Kreditinstitute
  • und eine breit und divers aufgestellte Finanzwirtschaft in kritischen Situationen die Liquidität und Stabilität eines Finanzplatzes sicherstellen.

Genau diese Kreditinstitute werden durch die geltenden Rahmenbedingungen am stärksten belastet:

  • Die zwingend notwendigen Überschüsse aus dem traditionellen stabilen Zinsgeschäft gehen drastisch zurück.
  • Und für Großbanken konzipierte Regulierungen belasten kleine und mittlere Kreditinstitute überproportional.

Das sind die Gründe, weshalb

  • wir immer größere Konzentrationsbewegungen in der Finanzwirtschaft sehen
  • und die Bankentgelte für die breite Kundschaft steigen.

Der europäischen – und besonders der bisher sehr stark auf Einlagen- und traditionelles Kreditgeschäft setzenden deutschen Kreditwirtschaft – stehen sehr schwierige Jahre bevor. Die Lösung kann nicht darin bestehen, dass etwa Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit den Spareinlagen der breiten Bevölkerung in immer risikoreichere Anlageformen ausweichen. Wer also künftig eine stabile, nachhaltig handelnde Finanzwirtschaft haben will, sollte politisch etwas dafür tun. Ein Beispiel für politische Handlungsmöglichkeiten ist hier in den USA zu sehen. Die volle Spanne des Baseler Rahmenwerks wird hier nur für die wirklich großen, grenzüberschreitend aktiven Bankkonzerne – die sogenannten „Megabanks“ – angewendet. Für die absolute Mehrzahl der Institute – die sogenannten „Main Street Banks“ – werden die Regeln hingegen nur teilweise oder gar nicht angewendet. Viele von ihnen arbeiten noch mit dem Basel II–Standard.

Dies trifft vor allem für die in den Regionen verwurzelten nahezu 6.000 Community Banks zu. Sie sind zum Beispiel von den Baseler Kapitalpuffern, den Liquiditätskennziffern und Stresstests befreit. Sogar Institute bis zu einer Bilanzsumme von 250 Milliarden US-Dollar sind von einzelnen Anforderungen befreit. Damit haben die USA einen deutlich anderen Weg eingeschlagen als die EU mit ihrem „Single Rulebook“-Ansatz, der grundsätzlich alle Regeln auf alle Institute ausrollt. Es gibt also durchaus noch Politikfelder, wo wir in Europa von den USA lernen können. Mit der in Kürze anstehenden Umsetzung der im Dezember 2017 vom Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht verabschiedeten „Finalisierung von Basel III“ bietet sich hierfür eine gute Möglichkeit.

Bereits vor zwei Jahren hatten wir genau an dieser Stelle davor gewarnt, dass der – sehr lange und sehr kontrovers – diskutierte „Output-Floor“ von 72,5 Prozent vor allem zu einer Belastung deutscher Kreditinstitute führen würde. Das ist damals – auch von Vertretern der deutschen Aufsicht – bestritten worden.

Tatsächlich zeigen die Ergebnisse der im August veröffentlichen Auswirkungsstudie der Europäischen Bankaufsichtsbehörde EBA Folgendes:

  • Im EU-Durchschnitt steigen die Kapitalanforderungen der betroffenen Banken um 25 Prozent.
  • Die deutschen Kreditinstitute sind allerdings mit einem Anstieg um 40 Prozent konfrontiert.

Und dieser Unterschied liegt nicht daran, dass die Modelle der deutschen Banken schlechter als in anderen EU-Ländern wären. Es liegt daran, dass Deutschland eine ausgeprägte bankbasierte Finanzierungsstruktur aufweist. Hier ist dringend eine Umsetzung des Floors mit Augenmaß notwendig – zumal die methodischen Anforderungen an interne Modelle in den letzten Jahren bereits sukzessive erhöht worden sind.

Die deutschen Sparkassen wenden fast ausschließlich Standardverfahren an, sie sind damit nicht vom Output-Floor betroffen. Dennoch steigt auch bei ihnen die Kapitalunterlegung in Summe um 15Prozent. Dies betrifft auch das „Brot-und-Butter-Geschäft“ wie die Immobilienfinanzierung und den ganz normalen Dispositionskredit der Sparkassen. Jetzt liegt sogar noch ein Vorschlag der EBA auf dem Tisch, bestehende europäische Regelungen wie den KMU-Unterstützungsfaktor wieder abzuschaffen. Hier muss Europa Rückgrat beweisen: Der KMU-Faktor ist wichtig, um für mittelständische Unternehmen angemessene Finanzierungsbedingungen zu erhalten. Er ist berechtigt, weil Mittelstandskredite eine bessere Risikostreuung beinhalten.

Die Bankenregulierung darf Strukturen in Bankenmärkten nicht verzerren. Deshalb muss auch im Rahmen der CRR III nochmals intensiv über administrative Entlastungen für kleine und mittelgroße Institute nachgedacht werden. Für die Differenzierung in der Regulierung sollte es objektive Gründe geben. Das ist bei der Einordnung eines Instituts als systemrelevant gegeben, nicht hingegen bei einer reinen Bilanzsummenschwelle von fünf Milliarden Euro.

Ich nehme den aktuellen und künftigen EU-Kommissar Valdis Dombrovskis gern beim Wort, wenn er sagt, dass „die Basel III-Reformen in einer Weise umgesetzt werden müssen, die die europäischen Besonderheiten und die Diversität des europäischen Bankensektors berücksichtigt".

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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